Muss fiktives Einkommen immer zugrunde gelegt werden?

Gegenüber Minderjährigen Kindern hat der Unterhaltsverpflichtete eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit, § 1603 BGB. Daraus kann sich ergeben, dass dem Unterhaltsverpflichteten fiktive Einkünfte angerechnet werden können. Wann diese überhaupt angerechnet werden können möchte ich kurz zusammenfassen.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschl. vom 18.06.2012 – 1 BvR 774/10; 1530/11; 2867/11, FamRZ 2012, 1283) hat bei drei Verfassungsbeschwerden es gebilligt, dass wegen der gesteigerten Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern nicht nur tatsächliche, sondern auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden können, wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese „bei gutem Willen“ ausüben könnte.

Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit haben die Gerichte jedoch zu prüfen, ob der Unterhaltspflichtige in der Lage ist, den beanspruchten Unterhalt zu zahlen und nicht der Grundsatz der Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG verletzt wird. Die Zurechnung fiktiver Einkünfte setzt zum einen voraus, dass subjektiv Erwerbsbemühungen des Unterhaltsverpflichteten fehlen. Zum anderen müssen die Einkünfte von ihm objektiv erzielbar sein, was von seinen persönlichen Voraussetzungen, wie Alter, berufliche Qualifikation, Erwerbsbiographie und Gesundheitszustand sowie vom Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen abhängt. Die Entscheidung muss eine konkrete, tragfähige Begründung enthalten, dass der Unterhaltsverpflichtete bei zumutbaren Bemühungen das erforderliche Einkommen erzielen kann, um den titulierten Unterhalt zahlen zu können. Eine Obliegenheit zur Erzielung von Nebeneinkünften ist nur anzunehmen, wenn und soweit dem Unterhaltsverpflichteten die Aufnahme einer weiteren Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbar ist und ihn nicht unverhältnismäßig belastet.

In: FF 2013 S. 136 – Die Rechtsprechung des BGH zum Unterhaltsrecht im Jahr 2012 – Dr. Hans-Ulrich Graba, vors. Richter am OLG a.D., Augsburg/Neusäß

Das Wechselmodell – viele Fragen und (noch) keine gesetzliche Regelung

Inzwischen kursiert bei getrennten Paaren der Wunsch nach dem sogenannten Wechselmodell bei der Aufenthaltsbestimmung der gemeinsamen Kinder. Ich möchte mit diesem Artikel die wichtigste Rechtsprechung des BGH zum Thema Wechselmodell zusammenstellen.

1. Was ist ein Wechselmodell?

Das Wechselmodell wird auch als Doppelresidenz oder Co-Elternschaft bezeichnet. Grundsätzlich lebt ein Kind überwiegend nur bei einem Elternteil (Residenzmodell). Meist ist dies bei der Kindsmutter. Bei dem Wechselmodell besteht allerdings eine anteilig gleichwertige Betreuung von Kindern durch deren getrennt lebende Eltern. Beide Elternteile bieten dem Kind ein Zuhause, in dem es sich abwechselnd aufhält. Die Betreuungszeiten beider Elternteile sind im Wechselmodell(nahezu) gleich. So verbringen die Kinder typischerweise jede zweite Woche sowie die Hälfte der Ferien beim jeweils anderen Elternteil. Bei kleineren Kindern sind auch kürzere Intervalle üblich, da diese einen Wochenzeitraum noch schwer überblicken können. Umgekehrt können bei größeren Kindern die Intervalle auch ausgedehnt werden.

Auch möglich ist das sogenannte  Nestmodell. Hier lebt das Kind dauerhaft in einer Wohnung und wird von den Eltern immer abwechselnd betreut. Hauptsächlich wird aber doch das das Doppelresidenzmodell.

Wichtig zu wissen ist, dass es für das Wechselmodell keine gesetzliche Regelung gibt. Das Kindergeld wird regelmäßig nur an einen ausgezahlt.

Mein Hinweis:

Auch die Frage über das Bestehen und der Höhe von Kindesunterhalt ist nicht durch Gesetz (BGB) geregelt!

2. Wo lebt das Kind?

Interessant ist es für die Eltern im Wechselmodell auch, wo denn Ihr Kind eigentlich den Wohnsitz hat, wenn es bei beiden Eltern zu gleichen Teilen lebt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vom 21.12.2005 (Az.: XII ZR 126/03) lebt das Kind im Sinne des § 1629 Abs. 2 S.2 BGB in der Obhut desjenigen Elternteils, bei dem das Schwergewicht der tatsächlichen Betreuung liegt. Im dort zugrunde liegenden Fall wurde das Kind zu 1/3 vom dem Vater betreut und zu 2/3 von der Mutter. Damit liegt das Schwergewicht der tatsächlichen Betreuung bei der Mutter.

3. Unterhaltspflicht im Wechselmodell?

Wer trägt nur die Barunterhaltspflicht, wenn doch beide Eltern das Kind / die Kinder gleicherweise betreuen? So regelt § 1612a BGB, dass ein minderjähriges Kind gegen den Elternteil, mit dem es nicht in einem Haushalt lebt, einen anteiligen Anspruch auf Unterhaltszahlung hat. Der Elternteil, bei dem es lebt, erbringt seine Unterhaltsleistung durch Betreuung und Erziehung als sog. Naturalunterhalt. Diese Verteilung der Unterhaltspflichten ist unabhängig davon, wie das Sorgerecht ausgestaltet ist. Diese Vorschrift schein aber so gar nicht auf das Wechselmodell zu passen, da hier die Kinder von beiden zu gleichen Teilen betreut werden.

Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 28. Februar 2007 (Az.: XII ZR 161/04) die Auffassung vertreten, dass die Mutter ihre Verpflichtung, zum Unterhalt der Kinder beizutragen, allein durch deren Pflege und Erziehung erfüllt, während der Vater allein für deren Barunterhalt aufzukommen hat. Diese Aufteilung von Bare- und Betreuungsunterhalt ist so  lange nicht in Frage zu stellen, wie das deutliche Schwergewicht der Betreuung bei einem Elternteil liegt, dieser mithin die Hauptverantwortung für ein Kind trägt. Das ist grundsätzlich auch dann der Fall, wenn sich ein Kind im Rahmen eines über das übliche Maß hinaus wahrgenommenen Umgangsrechts bei einem Elternteil aufhält und sich die Ausgestaltung des Umgangs bereits einer Mitbetreuung annähert. Solang der andere Elternteil die Hauptverantwortung für ein Kind trägt, muss es dabei bleiben, dass er seine Unterhaltspflicht durch die Pflege und Erziehung des Kindes erfüllt.

Mein Hinweis:

Anders kann es sein, wenn sich die Eltern die Verantwortung für ein Kind in etwa hälftig teilen. Zur Beantwortung der Frage, ob ein Elternteil die Hauptverantwortung für ein Kind trägt, kommt der zeitlichen Komponente der von ihm übernommenen Betreuung indizielle Bedeutung zu, ohne dass die Beurteilung sich allein darauf zu beschränken braucht. Im zu entscheidenden Fall des BGH hatte der Mann nur einen Betreuungsaufwand von rund 1/3 der Zeit, so dass er weiterhin auch barunterhaltspflichtig ist.

Anders wird es allerdings zu beurteilen  sein, wenn die Eltern sich in der Beteuung eines Kindes abwechseln, so dass jeder von ihnen etwa die Hälfte der Versorgung- und Erziehungsaufgaben wahrnimmt. In solchen Fällen wird eine anteilige Barunterhaltspflicht der Eltern in Betracht kommen, weil sie auch für den Betreuungsunterhalt nur anteilig aufkommen.

Ein solche Art von den Eltern praktiziertes Wechselmodell bleibt allerdings auch auf die Bedarfsbemessung nicht ohne Einfluss. Wenn beide Elternteile über Einkommen verfügen, ist der Unterhaltsbedarf des Kindes an den beiderseitigen – zusammengerechneten – Einkünften auszurichten. Hinzuzurechnen sind die Mehrkosten ( z.B. Wohn- und Fahrtkosten), die dadurch entstehen, dass das Kind nicht nur in einer Wohnung, sondern in getrennten Haushalten versorgt wird. Für den so ermittelten Bedarf haben die Eltern anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen und unter Berücksichtigung der erbrachten Naturalunterhaltsleistungen aufzukommen.

Praktizieren Sie auch das Wechselmodell und glauben nicht barunterhaltspflichtig zu sein oder bezahlt das andere Elternteil kein Unterhalt obwohl sie die Kinder mehr betreuen, dann treten Sie einfach über folgendes Formular mit mir in Kontakt oder rufen Sie mich über neben stehende Telefonnummer an.

Kürzung des Unterhalts aufgrund hoher Fahrtkosten?

In der heutigen Zeit ist es notwendig, dass der Unterhaltspflichtige eine weit entfernte Arbeitsstelle annehmen muss, um Einkommen zu erzielen. Dies hat natürlich zur Folge, dass er täglich viele Kilometer Fahrtweg in Kauf nehmen muss und dies auch entsprechende Fahrtkosten nach sich zieht. Hohe Fahrtkosten ist einer der häufigsten Streitpunkte im Unterhaltsverfahren. Meist werden solche vom Unterhaltsschuldner einkommensmindernd geltend gemacht. Wenn das Fahrzeug beruflich benötigt wird, stellen Aufwendungen für das eigene Auto regelmäßig Erwerbsaufwand dar.

Wie werden diese Fahrtkosten auf den Unterhalt angerechnet?

Nach den Unterhaltsleitlinien der jeweiligen Oberlandesgerichte, sind die notwendigen Kosten der berufsbedingten Nutzung eines Kraftfahrzeuges ein Betrag von 0,30 € pro gefahrenen Kilometer anzusetzen. Hierin sind Anschaffungs-, Reparatur- und sonstige Betriebskosten enthalten. Bei längeren Fahrtstrecken (ab ca. 30 km einfach) kann nach unten abgewichen werden. Dass heißt, ab dem 31. Mehrkilometer ist nur noch 0,20 € anzusetzen. Steuervorteile sind aber gegenzurechnen.

Weiteres können Sie in der Düsseldorfer Tabelle unter 10.2.2. erfahren. Diese Unterhaltstabelle können Sie hier herunterladen. Für Sachsen gelten die obigen EURO-Beträge. Die Unterhaltsleitlinien des Oberlandesgerichts Dresden können Sie hier einsehen.

Gilt dies ausnahmslos?

Problematisch ist dies allerdings, wenn die Fahrtkosten so hoch ausfallen, dass es zu einem Mangelfall kommt bis hin zur völligen Leistungsunfähigkeit des Kindesvaters.

Grundsätzlich können die Kosten für die Fahrt zur Arbeit vom Einkommen des Unterhaltsschuldners abgezogen werden, jedenfalls soweit sie durch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel entstehen. Die regelmäßig höheren Kosten für die Benutzung eines Pkw könne berücksichtigt werden, wenn sie erforderlich sind. Dies ist etwa der Fall, wenn der Arbeitsplatz mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht oder nur mit unvertretbarem Zeitaufwand zu erreichen ist oder wenn der Pflichtige das Fahrzeug zur Ausübung seiner Tätigkeit. Bei großen Entfernungen und besonders hohen Fahrtkosten ist ein Wechsel des Wohnorts zumutbar, wenn Wohnen nahe dem Arbeitsplatz nach den Lebensumständen zumutbar ist, mit zumutbarer Mietbelastung eine neue Wohnung gefunden werden kann und dem Ortswechsel schutzwürdige wichtige persönliche oder sonst anerkennenswerte Gründe nicht.

Im Jahre 2007 hat das Brandenburgerische Oberlandesgericht ein für Kindsmutter und Kindsvater bestimmendes Urteil entschieden (Urteil vom 12.11.2007 Az.: 10 UF 230/06):

Wenn die abzugsfähigen Fahrtkosten rund 2/5 bzw. die Hälfte des Nettoeinkommens aufzehren, ist der Kindsvater im Hinblick auf seine Unterhaltspflicht gegenüber seinem minderjährigen Kind gehalten, sie zur Erhaltung seiner Leistungsfähigkeit zu senken.

Denn im Hinblick auf eine erhebliche Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsplatz (im zugrundegelegten Fall von rund 85 km bzw. 109 km) und die dadurch ungemessen hohen Fahrtkosten bei Nutzung des eigenen Pkw kann vom Kindsvater verlangt werden, dass er in die Nähe seines Arbeitsplatzes zieht, um die Fahrtkosten zu reduzieren.

Haben Sie Fragen oder Anregungen, dann treten Sie einfach über folgendes Formular mit mir in Kontakt oder rufen Sie mich über neben stehende Telefonnummer an.